Medizinische Apps, die eine Wirkung nachweisen können, dürfen demnächst verschrieben werden.
Medizinische Apps, die eine Wirkung nachweisen können, dürfen demnächst verschrieben werden.

Nur noch wenige Tage, dann dürfen die ersten 25 Apps auf Rezept von Ärzten und Therapeuten verordnet werden. Die Prüfung durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) befindet sich in der Schlussphase. Danach dürfen die Apps im Verzeichnis erstattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen, dem sogenannten Diga-Verzeichnis, veröffentlicht werden. Diga ist die Abkürzung für digitale Gesundheitsanwendungen. „Voraussichtlich im Laufe der kommenden beiden Wochen“ solle die Liste erscheinen, so das BfArM auf Anfrage von Gründerszene.

Nicht überall stoßen diese Angebote auf Zustimmung. „Die Patienten dürfen nicht zu Versuchskaninchen der IT-Industrie und der App-Programmierer gemacht werden“, warnt der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayern. Sie sieht „das große Problem der Intransparenz in Bezug auf Qualität und Datenschutz“. Hier müsse eindeutig eine sorgfältige Prüfung des wirklichen Nutzens erfolgen, bevor solche Apps in der medizinischen Versorgung zum Einsatz kommen. Zudem sei das Haftungsrisiko unklar.

Transparentes Prüfverfahren

Dabei sieht die Diga-Verordnung ein strenges Prüfverfahren vor. Nur Apps, die „positive Versorgungseffekte“ beweisen können, haben eine Chance, dauerhaft zugelassen zu werden. Dazu sind Studien über den medizinischen Nutzen erforderlich. Wie diese genau konfiguriert sein müssen, steht detailliert im 135 Seiten umfassenden Diga-Leitfaden des BfArM.

Dieser gab auch den Ausschlag, dass die Bundestherapeutenkammer (BPtK) ihren Widerstand gegen Psycho-Apps zumindest teilweise zurückgenommen hat. Der Leitfaden liefere „die erforderliche Transparenz, um digitale Gesundheitsanwendung verantwortungsbewusst verordnen zu können“, heißt es in einer Mitteilung der Kammer vom Mai. Somit sei nachvollziehbar, ob eine Gesundheits-App schon auf ihre Wirksamkeit geprüft oder nur zur Probe zugelassen worden sei. Sie rät ihren Psychotherapeuten davon ab, Gesundheits-Apps zu verordnen, die noch nicht ausreichend geprüft seien. „Gesundheits-Apps können positive wie negative therapeutische Wirkung haben“, erklärt BPtK-Präsident Munz.

Philipp Kircher, Jurist beim Health Innovation Hub des Bundesgesundheitsministeriums, weist die Ärztekritik zurück. „Der Vorstand der KV Bayern zündelt hier mit dem Vertrauen von PatienInnen in die Qualität von Medizinprodukten und ärztlich verordneten Leistungen“, sagt er. „Bei Diga handelt es sich um Medizinprodukte, die nach den in der EU einheitlich geltenden Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Leistungsfähigkeit in Verkehr gebracht werden. Die Standards sind also dieselben wie dies etwa bei verordnungsfähigen Hilfsmitteln (z.B. Blutzucker- oder Blutdruckmessgeräte) der Fall ist.“ 

Auch in Sachen Arzthaftung folge der Einsatz der Diga denselben Regeln wie bei der Verordnung nicht-digitaler Medizinprodukte. „Sie ist daher rechtlich genauso geklärt oder ungeklärt, wie dies bei der Versorgung von PatientInnen in der ärztlichen Praxis jeden Tag der Fall ist.“ . Diese Behandlung müsse wie bisher auch nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards erfolgen, (§ 630a Abs. 2 BGB). „Diga werden zukünftig zu diesem Standard gehören.“ Ihre Nicht-Verordnung könnte daher ebenso wie ihre Fehl-Verordnung, zum Beispiel in einem medizinisch nicht indizierten Fall, zu einem Haftungsfall führen, wenn daraus ein Schaden entsteht. Das Risiko von Schäden sei allerdings als wesentlich geringer einzuschätzen als dies bei der Verordnung von Arzneimitteln oder Hilfsmitteln in Form von Medizinprodukten hoher Risikoklassen der Fall sei. „ÄrztInnnen ist durchaus zuzutrauen, dass sie vor der Verordnung von Medizinprodukten erstmal nur niedriger Risikoklassen nicht kapitulieren werden.“

Bedenkenträger in den Kammern

Die verbleibende Kritik der Ärzte und Therapeuten erinnert an die Zeit vor der Legalisierung der Videosprechstunde, die erst durch die Corona-Pandemie ihren Durchbruch erlebte. Die Ärzteschaft wehrte sich jahrelang gegen die neue Technologie: Sie kritisierten den administrativen Aufwand, die Anschaffung der Technik und die schwache Vergütung. Erst nach und nach wandten sich Kassenärztlichen Vereinigungen der neuen Technologie zu und legten die Bedenken beiseite. Vorreiter war damals die KV des Bundeslandes Baden-Württemberg.

Zu einem ähnlichen Effekt könnte es auch bei den Digas kommen. Mit zwei Unterschieden: Erstens dürfen sie verschrieben werden und zweitens können sie nur nach einem Evidenzbeweis dauerhaft ins Diga-Verzeichnis aufgenommen und verschrieben werden. Ob das tatsächlich auch passiert, wird auch von den Patienten abhängen, die zum Arzt gehen und um die Verschreibung einer App auf Rezept bitten.

Jürgen Stüber schreibt bei Gründerszene über die digitale Gesundheitswirtschaft. Jeden Freitag lest ihr hier die Kolumne Healthy Business, die einen Blick auf die Gesundheitsbranche wirft. Die Kolumne der vorigen Woche findet ihr hier:

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Bild: Getty / Westend61