Softwarestau in den Gesundheitsämtern: Kommt bald die Kontaktverfolgung in Echtzeit?

Sie fordern „Daten für Taten“, aber haben die Pause zwischen erster und zweiter Welle für zentrale Lösungen in den Gesundheitsämtern verpasst: Lothar Wieler (r.), Präsident des Robert-Koch-Instituts und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Sie fordern „Daten für Taten“, aber haben die Pause zwischen erster und zweiter Welle für zentrale Lösungen in den Gesundheitsämtern verpasst: Lothar Wieler (r.), Präsident des Robert-Koch-Instituts und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

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Berlin. Wenn Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über die Digitalisierung der Gesundheitsämter in der Corona-Pandemie spricht, erzählt er zunächst von Afrika. Bei einem Besuch in der zentralen Gesundheitsbehörde in Nigeria seien ihm die vielen Bildschirme aufgefallen, die in Echtzeit den Stand von Infektionsausbrüchen im Land zeigten.

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Maßgeblich dafür sei eine deutsche Software, sagten ihm seine Gesprächspartner. Sormas heiße sie, entwickelt vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und dem Robert-Koch-Institut, um die Ebola-Ausbrüche in Westafrika zu bekämpfen.

„Kann ja gar nicht sein, dass ihr in Nigeria mehr könnt, als wir in Deutschland“, dachte Spahn in diesem Moment. So erzählt er es auf einer Digitalkonferenz für den Öffentlichen Gesundheitsdienst vergangene Woche.

Und er macht kräftig Werbung für Sormas, das inzwischen auf deutsche Verhältnisse und Covid-19 angepasst ist. „Ich kann nur ermuntern, es zu nutzen. Ich wünsche mir, dass das, was mit wahnsinnig viel Einsatz und großer Geschwindigkeit entwickelt wurde, jetzt zum Einsatz käme.“

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In der Beschlussvorlage für die Videokonferenz der Kanzlerin mit den Länderchefs und –chefinnen wird ganz in Spahns Sinne Druck aufgebaut: Bis zum Jahresende soll das Programm in 90 Prozent der Gesundheitsämter genutzt werden, am besten in Verbindung mit einem digitalen Symptomtagebuch.

Österreich wird zweiten Voll-Lockdown verhängen
 AUSTRIA - VIENNA - VIRUS - HEALTH - LOCKDOWN - GOVERNMENT ��STERREICH WIEN 20201114 Bundeskanzler Sebastian Kurz w��hrend einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Wien am 14. November 2020. Die ��sterreichische Regierung gab eine Versch��rfung des Lockdowns w��hrend der steigenden Infektionszahlen bekannt. /// AUSTRIA VIENNA 20201114 Federal Chancellor Sebastian Kurz during a press conference in the Federal Chancellery in Vienna on November 14, 2020. The Austrian government announced a tightening of the lockdown amid the rising number of infections. *** AUSTRIA VIENNA VIRUS HEALTH LOCKDOWN GOVERNMENT AUSTRIA VIENNA 20201114 Federal Chancellor Sebastian Kurz during a press conference in the Federal Chancellery in Vienna on Novembe PUBLICATIONxNOTxINxAUT

Österreich will die Corona-Maßnahmen verschärfen. Angesichts der weiter steigenden Infektionszahlen will die Regierung wieder in einen Voll-Lockdown übergehen.

Das Ziel ist äußerst ambitioniert - und hätte viel früher erreicht werden können. Lothar Wieler, Leiter des Robert-Koch-Instituts (RKI), fordert zwar „Daten für Taten“, damit die Ämter „mehr Zeit für ihre Kernaufgabe gewinnen“. Aber auch das RKI hat zwischen erster und zweiter Welle die Digitalisierung der Kontaktverfolgung nicht mit Priorität behandelt, sagen Behördenmitarbeiter.

Die zweite Welle überlastet die Gesundheitsämter, auch weil viele in der Kontaktverfolgung noch mit Papierakten und Excel-Tabellen hantieren. Die Kontakte werden in vielen Großstädten nur noch bei Risikofällen ermittelt und vom Amt informiert, etwa bei Covid-Patienten aus Seniorenheimen. Auch mit Bundeswehr-Unterstützung bleibt kaum Zeit, die positiv Getesteten zu informieren.

Ein Programm bietet enorme Entlastung – doch nur wenige Ämter setzen es ein

Sormas kann hier eine enorme Entlastung sein, sagt etwa Silvia Eller vom Gesundheitsamt des Rhein-Kreises Neuss: „Wir haben vorher parallel mit Papierakten und Excel-Tabellen gearbeitet. Jetzt hat jeder Mitarbeiter zeitgleich Zugriff auf die Daten, kann das in Echtzeit sofort bearbeiten. Das spart sehr viel Zeit, nur so können wir die Kontaktverfolgung zurzeit noch leisten.“

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Dennoch ist Sormas erst in etwa 50 Kommunen und Landkreisen in Deutschland eingeführt. In der Schweiz setzt inzwischen mehr als die Hälfte der Kantone das System, in Frankreich die Mehrzahl der Regionen.

Warum scheitert ausgerechnet Deutschland daran, die Gesundheitsämter einheitlich zu digitalisieren? Am Geld liegt es nicht. Knapp zwölf Millionen Euro stellt das Gesundheitsministerium zur Verfügung, um ein integriertes Konzept zur Kontaktverfolgung einzuführen, mit Systemtagebuch und Schnittstellen zum Meldesystem des Robert-Koch-Instituts. Eine Basisversion soll laut Plan im Herbst fertig sein, ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

Das Ministerium will die Hoffnung nicht aufgeben. Ein Sprecher teilt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit: „Die Bundesregierung geht davon aus, dass eine Basisversion des Systems wie geplant im Laufe des Herbsts verfügbar sein wird und kurzfristig die testweise Pilotierung erfolgen kann.“ Wegen der fehlenden Schnittstelle zögern viele Kommunen, Sormas für die Kontaktverfolgung und das Quarantänemanagement einzusetzen.

Fakt ist: Es gab Versäumnisse, während der weniger belasteten Zeit im Sommer digitale Lösungen voranzutreiben. Das rächt sich jetzt. Jedes Gesundheitsamt entschied für sich, welche Programme für die Kontaktverfolgung zum Einsatz kamen. Vielerorts entwickeln IT-Verantwortliche eigene Lösungen, obwohl das nicht nötig wäre. Zudem überschwemmen kommerzielle Anbieter die Ämter mit Angeboten.

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Tobias Schellhorn kümmert sich im Rhein-Kreis um die Digitalisierung der Verwaltung. Er sagt: „Auf Sormas sind wir durch Zufall gestoßen, Monate bevor wir auf offiziellem Weg davon erfuhren. Das Programm ist für uns kostenlos und die Entwickler reagieren schnell auf unsere Vorschläge für Verbesserungen.“

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