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Urteil in den Niederlanden Gericht verpflichtet Ölkonzern Shell zu Klimaschutz

Sieben Umweltschutzverbände haben Shell vor einem Gericht in Den Haag verklagt. Die Entscheidung ist ein Signal für den Klimaschutz: Der Konzern ist verantwortlich. Er muss seinen CO₂-Ausstoß um 45 Prozent reduzieren.
Der Ölkonzern Shell ist nach Ansicht von Umweltschutzgruppen für die Klimakrise mitverantwortlich.

Der Ölkonzern Shell ist nach Ansicht von Umweltschutzgruppen für die Klimakrise mitverantwortlich.

Foto: Mike Kemp / In Pictures / Getty Images

Ein niederländisches Gericht in Den Haag hat im Klimaschutzprozess gegen den Ölriesen Shell ein historisches Urteil gesprochen. Der Konzern hat verloren, der Klimaschutz wird gestärkt.

Shell, befand das Gericht, ist für CO₂-Emissionen verantwortlich, die zur Erderwärmung beitragen und gefährliche Folgen für die niederländische Bevölkerung, die Bewohner des Wattenmeergebiets und die Rechte der Menschen in den Niederlanden habe. Eine Richterin sagte: »Shell kann und muss die CO₂-Emissionen reduzieren.« Und ist dazu nun auch gesetzlich verpflichtet: Bis zum Jahr 2030 muss der Konzern seinen Treibhausgasausstoß um 45 Prozent netto verringern, gemessen am Stand des Jahres 2019.

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Mit dieser Entscheidung hat das Gericht einen Präzedenzfall geschaffen. Nach dem Urteil wird der britisch-niederländische Konzern zum Klimaschutz gezwungen, das gelte für die eigenen Unternehmen ebenso wie für Zulieferer und Endabnehmer.

Eine wegweisende, eine bahnbrechende Entscheidung

Das Verfahren gilt, ähnlich wie die erfolgreiche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht  gegen die Klimapolitik der Bundesregierung, als wegweisend. Schließlich geht es um die Rolle multinationaler Konzerne im Kampf gegen die Klimakrise.

Das sagt auch die Hamburger Rechtsanwältin Roda Verheyen: »Das ist die erste Klage in Europa, die sich mit den Pflichten eines multinationalen Unternehmens befasst hat, ein in die Zukunft gerichtetes Verfahren. Das Urteil ist bahnbrechend.« Erstmals, erklärt sie, sei ein global agierendes Unternehmen gerichtlich zum Klimaschutz verpflichtet worden. Was auch bedeutet: Diese Verpflichtungen sind einklagbar.

»Wenn die Politik zu lange pennt, dann regeln das die Gerichte.«

Roda Verheyen, Rechtsanwältin

Dass derartige Gerichtsprozesse überhaupt notwendig sind, sei eine Verfehlung der Politik, sagt Verheyen: »Wenn die Politik zu lange pennt, dann regeln das die Gerichte.«

Folgt nun eine Welle von Klagen gegen Energiekonzerne? Verheyen glaubt, dass Unternehmen sich vor allem selbst endlich effektive Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz setzen und diese auch strenger befolgen werden. Denn andernfalls würden sich die Investoren abwenden.

Doch auch mit weiteren Klagen ist sicher zu rechnen: Die Anwältin Verheyen vertritt zum Beispiel einen peruanischen Bauern bei einer Klage gegen den deutschen Energiekonzern RWE, in dem es um die Kosten von Schutzmaßnahmen gegen eine Gletscherflut geht. Denn eine globale Lösung für die Kosten des Klimawandels, so Verheyen, gibt es noch nicht.

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Im konkreten Fall in Den Haag wollten Umweltschützer Shell mit ihrer Klage zwingen, die im Pariser Abkommen formulierten Klimaschutzziele einzuhalten. Zukünftiger Schaden sollte abgewendet werden. Dazu sollte Europas größtes Ölunternehmen verpflichtet werden, den eigenen Treibhausgasausstoß drastisch zu senken. Shell hat seinen Hauptsitz in Den Haag. Verhandelt wurde vor dem dortigen Bezirksgericht.

Vertreten wurden die Kläger vom Anwalt Roger Cox. 2015 hatte er schon einmal einen gerichtlichen Erfolg errungen: Damals hatte er die Organisation Urgenda  vertreten. Urgenda verklagte den niederländischen Staat erfolgreich zur Einhaltung seiner selbst gesteckten Klimaziele.

17.300 Bürgerinnen und Bürger unterstützen die Klage

Der jetzige juristische Sieg gegen Shell geht auf die Klage von sieben Umweltschutzgruppen zurück, darunter Milieudefensie  und Greenpeace. Unterstützt wurden die Verbände von 17.300 niederländischen Bürgerinnen und Bürgern, die als Nebenkläger auftraten. Solche Verbandsklagen sind in den Niederlanden leichter durchsetzbar als in Deutschland, hier gibt es mehr verfahrensrechtliche Hürden.

Milieudefensie argumentierte, dass Shell der größte Schadstoffverursacher des Landes sei – das Mineralölunternehmen stoße neunmal so viel CO₂ aus als der Rest der Niederlande. Dadurch dass Shell weiterhin in den Abbau fossiler Energieträger investiere, gefährde der Konzern unter anderem das Recht auf Leben und verstoße damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Zudem sei die Bedrohung des Klimawandels den Verantwortlichen bei Shell seit Jahrzehnten bekannt : Bereits 1988 lag Shell ein interner Bericht vor, in dem die potenziell katastrophalen Folgen des Treibhauseffektes beschrieben wurden – ohne weitreichende Konsequenzen.

»Unangemessen und ohne gesetzliche Grundlage«, heißt es von Shell

Das Unternehmen selbst, das einen Milliardenumsatz mit fossilen Brennstoffen erzielt, bezeichnete die Klagen als »unangemessen und ohne gesetzliche Grundlage«. Shell hat sich bereits verpflichtet, den CO₂-Fußabdruck seiner Produkte zu verringern – bis 2035 um 30 Prozent. Die Umweltverbände wollten jedoch rechtlich erwirken, dass Shell seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent senkt.

Das Gericht gab ihnen nun recht. Und ließ die Darstellung von Shell nicht gelten: Die beschlossenen Maßnahmen des Unternehmens seien »wenig konkret und voller Vorbehalte«, hieß es vom Gericht.

Weltweit nimmt die Zahl der Klagen für mehr Klimaschutz weiter zu: Aktuell laufen rund 1.700 Verfahren, mehrere davon gegen Energiekonzerne.

Und es könnten nun noch mehr werden: Die Auswirkungen des Verfahrens in Den Haag bezeichnet die Juristin Laura Burgers als enorm. Sie forscht an der Universität Amsterdam unter anderem zu Klimaklagen. »Wir wissen mit Sicherheit, dass die schwersten Folgen des Klimawandels erst in der Zukunft entstehen werden. Sowohl das internationale Umweltrecht als auch das EU-Recht verpflichten dazu, die Interessen zukünftiger Generationen zu berücksichtigen«, sagt sie.

Shell kann Berufung einlegen

Das nun verkündete Urteil wird weitere Prozesse nach sich ziehen. Nach Burgers Einschätzung ist allerdings davon auszugehen, dass Shell im Verfahren Berufung einlegen wird. »Dieser Fall ist noch lange nicht zu Ende«, sagt sie.

vki